Fachdiskussion über die Weiterentwicklung der Leitlinien der Wohnungslosenhilfe

Berlin, 13. Juni 2017

Podiumsdiskussion Leitlinien WohnungslosenhilfeAm 12. Juni 2017 haben die drei Regierungsfraktionen (SPD, Linke, Grüne) zu einer Fachdiskussion über die „Leitlinien der Wohnungslosenhilfe“ ins Berliner Abgeordnetenhaus eingeladen. Abgeordnete und Sprecher*innen der drei Parteien, Fachleute und Verantwortliche von Trägerorganisationen, von Verbänden und Hochschule (ASH) haben ebenso teilgenommen wie die zuständige Senatorin Frau Elke Breitenbach und ihr Staatssekretär Alexander Fischer.

Das angekündigte Anliegen: „Wir wollen mit Ihnen, also denjenigen, die Tag für Tag für die zahlreichen Problemlagen der Wohnungslosenhilfe eine Lösung finden müssen, ins Gespräch kommen…. Unser Ziel ist, mit Ihnen Stellschrauben und Handlungsbedarfe gemeinsam zu identifizieren sowie zu diskutieren, wo man Hilfsangebote zielgerichtet verändern und ausbauen muss, um wohnungslosen Menschen in unserer Stadt ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.“

Um die Diskussion in Schwung zu bekommen haben die Sozialsenatorin sowie ausgewählte Expert*innen, Frau Professorin Dr. Susanne Gerull (ASH), Herr Robert Veltmann (Geschäftsführer der GEBEWO - Soziale Dienste - Berlin gGmbH), Frau Karen Holzinger (Berliner Stadtmission), Herr Michael Braun (Bezirksamt Neukölln), Frau Regina Schödl (Paritätischer Wohlfahrtsverband) jeweils ein Eingangsstatement abgegeben. Moderiert wurde die Diskussion durch Frau Ülker Radziwill, MdA (SPD).

Viele Themen wurden benannt bzw. angeschnitten:

  • Ankündigung einer neuen AV- Wohnen zum 01.01.2018 (Senatorin Breitenbach)
  • Verbesserungsbedarf der Prävention gegen Wohnungsverlust
  • Wohnungslosigkeit geht einher mit Suchterkrankungen, psychischen Beeinträchtigung und Abbau von sozialen Kontakten und Ressourcen
  • Landesweite Wohnungsnotfallstatistik
  • Gesamtstädtische Steuerung der kommunalen Unterbringung
  • Trägerwohnungen
  • Bezirkliche Fachstellen für Wohnungsnotfälle
  • 1.000 Schlafplätze in der Berliner Kältehilfe u.a. durch Einsatz mehrerer Traglufthallen entlang des S-Bahnrings
  • Mehr ganzjährige Schlafplätze in Notübernachtungen auch für Frauen und Familien
  • Niedrigschwellige medizinische Versorgung verbessern und hier Senatsverwaltung für Gesundheit beteiligen
  • Krankenwohnung für obdachlose kranke Menschen zur Genesung
  • Gezielte Beratungs- und Pflegeangebote für kranke und behinderte, wohnungslose Menschen
  • Verbleib und Hilfen für obdachlose EU- Bürger*innen; Bundesgesetzgebung und Hilfen vor Ort

PodiumsdiskussionFachdiskussion

Auszug mit Kernaussagen der Podiumsteilnehmer*innen

Frau Gerull:

Die letzten Anläufe für eine Aktualisierung der „Leitlinien“ sind in den letzten vier Legislaturperioden versandet. Apell für eine verbindliche Überschrift des Programms wie z. B. „Strategien zur Überwindung von Wohnungslosigkeit“. Es müssen realistische Ziele und Verpflichtungen vereinbart werden. Wir wissen zu wenig über die verschiedenen Bedarfsgruppen. Eine landesweite Wohnungsnotfallstatistik ist überfällig. Die Flexibilisierung von Hilfen gemäß SGB XII wird in anderen Bundesländern bereits sichtbar erfolgreicher praktiziert

Frau Schödl:

In den alten Leitlinien finden sich immer noch richtige Botschaften und Maßnahmen, man muss sie nur umsetzen. Die Träger von Maßnahmen gemäß § 67 SGB XII erarbeiten seit vielen Jahren Sachberichte. Man hat das Gefühl, diese wurden nicht gelesen. Visionen sind wichtig, bedürfen aber einer beherzten Umsetzung. Hier gibt es aktuell viel Zuversicht in der Zusammenarbeit mit dem neuen Berliner Senat. Der DPWV setzt sich zudem für eine bessere medizinische Versorgung ein.

Herr Braun:

Die Berliner Sozialämter werden mit vielen unterschiedlichen Problemlagen konfrontiert. Sowohl in der Prävention als auch bei der Anwendung von Hilfeangeboten gemäß § 67 und § 53 SGB XII wird der gesetzliche Rahmen nicht ausreichend ausgeschöpft. Ein gründlicher Blick in die Gesetzbücher könnte hier teils Abhilfe schaffen. Es gibt erfolgreiche Modellprojekte auch in ASOG-Unterkünften. Neukölln praktiziert das z. B. mit der GEBEWO hinsichtlich des Übergangs zu Hilfemaßnahmen gemäß § 53 SGB XII für wohnungslose Menschen.

Frau Holzinger:

Die konsequente „Prävention von Wohnungsverlust unter Einsatz aller möglichen Mittel“ wurde bereits 1999 festgeschrieben, aber nicht umgesetzt. Wir haben ein recht gutes Hilfesystem, doch fallen viele Menschen in ein „schwarzes Loch“ zwischen den Hilfesystemen der Wohnungslosen– und der Eingliederungshilfe. Armut in Berlin hat sich internationalisiert. Die ganzjährige Notübernachtung Franklinstr. nahm laut Statistik 2016 91 verschiedene Nationalitäten auf. Versorgung reicht nicht, es braucht Handlungskonzepte, die die Verelendung auf unseren Straßen verhindern und die die Kältehilfe muss angesichts der enormen Herausforderungen durch vielfältige Problemlagen fachlich besser ausgestattet werden

Herr Veltmann:

Seit 2001 steigt die Anzahl wohnungsloser Menschen. Effektive Präventionsmaßnahmen unter Beteiligung der Wohnungswirtschaft und der Hilfeträger finden nicht statt. Berliner Behörden und Hilfemaßnahmen wurden 15 Jahre lang „totgespart“. In den Hilfesystemen der Berliner Wohnung herrscht Stau. Vermutlich über 8.000 Menschen werden in ordnungsrechtlichen Gemeinschaftsunterkünften verwahrt. Die Unterkünfte sind voll. Gezielte Beratungs- und Betreuungsangebote finden dort quasi nicht statt. Der Wohnungsmarkt ist für diese Gruppe von Menschen heute nicht mehr zugänglich. Der Übergang in qualifiziertere Unterstützungsmaßnahmen ist voller Hürden und Hindernisse. Dauerhafte Armut und Wohnungslosigkeit verändert aber die Psyche der Menschen. Verwahrlosung und Verelendung sind sichtbare Folgen. Gezielte Integrationsmaßnahmen könnten hier Bewegung hineinbringen. Leitlinien oder besser ein Strategiepaket zur Überwindung von Wohnungslosigkeit benötigen auch klar formulierte Ziele wie z. B. ein Abbau der Anzahl um 50 % im Zeitraum xy und die Benennung der verantwortlichen Akteure.

Herr Staatsekretär Fischer formuliert die Notwendigkeit angesichts der komplexen Themenvielfalt kleine Themenpakete zu packen und mit den jeweiligen Akteuren abzuarbeiten. Die Senatsverwaltung hat den Bedarf einer partizipativen Vorgehensweise mit allen relevanten Akteuren erkannt. Herr Veltmann empfiehlt die Einrichtung sog. „temporärer Arbeitsgruppen“ mit klaren Zielvorgaben.

Ein Ausblick für den weiteren Diskussionsprozess wurde durch Herrn Stefan Ziller, MdA (Bündnis 90/Die Grünen) gegeben, der im Einklang mit der Senatorin und dem Staatsekretär versprach, den partizipativen Prozess zu den künftigen Leitlinien fortführen zu wollen. Die Fachdiskussion endete nach 3-stündigem intensiven Austausch gegen 21.00.

Wir sind gespannt, wie es weitergeht.